Von Wolfgang Lübcke
Gellershausen. Wir laden Sie ein zu einer Wanderung zum Naturschutzgebiet (NSG) „Paradies bei Gellershausen“. Startpunkt für den etwa 7 km langen Rundweg ist die Freizeitanlage „Spicke“ bei Kleinern.
Dann geht es durch das idyllische Kesselbachtal in Richtung Albertshausen. Interessant sind die Berg-Namen „Hirschkammer“ und „Hirschsprung“ zu unserer Rechten. Die Namen verweisen auf ein früheres Rotwild-Vorkommen in diesem Waldbereich. Am oberen Talende biegen wir am Waldrand rechts ab und gelangen nach etwa halber Wegstrecke zum Paradies. In der Schutzhütte an dessen südöstlichem Rand bietet eine Tafel detaillierte Informationen über das NSG, das sich im Besitz der Waldeckischen Domanialverwaltung befindet. Es hat die längste Entstehungsgeschichte eines Naturschutzgebietes in unserem Landkreis.
Auf Befehl des letzten Waldecker Fürsten Friedrich (1865 – 1946) wurden zwei Forstorte der Oberförsterei Gellershausen aus der Nutzung genommen. Dazu schrieb Oberförster Ritter im Jahr 1924 an das damalige Landratsamt für den Kreis der Eder: „Mit Paradies bezeichnet der Volksmund die Distrikte 34b Goldbachkopf und 36a Schützendriesch. Beide Forstorte haben zusammen eine Größe von ca. 14 Hektar und sind entstanden aus Hute belasteten Drieschflächen. Bestockt sind dieselben mit alten im Freistande erwachsenen Buchen, Eichen und Fichten. Seit einigen Jahren hat sich ein starker Fichtenanflug eingestellt.“ Möglicherweise wurde Fürst Friedrich zu seinem Schritt, das Paradies aus der forstlichen Nutzung zu nehmen, durch die 1907 erfolgte Ausweisung von Hessens ältestem Schutzgebiet, dem „Urwald Sababurg“ im Reinhardswald, angeregt. Auch dieses NSG ist ja ein ehemaliger Hutewald, welcher der Waldweide diente. Der Name Paradies hat wohl seinen Ursprung in dem einst parkartigen Aussehen des ehemaligen Hutewaldes mit seinen imposanten alten Baumgestalten.
Früher wurden im Herbst, wenn die Waldbäume reichlich Früchte trugen, Rinder, Schafe und Schweine aus den benachbarten Dörfern Albertshausen und Gellershausen zur Mast in den Wald getrieben. Auf die einstige Waldweide deuten auch die heute noch vorhandenen zahlreichen Wacholderbüsche hin. Auf einem historischen Foto um das Jahr 1935, das wir Albert Nieschalk (1904 – 1985) verdanken, ist der ursprüngliche Charakter der Hutefläche mit ihren Wacholder-Säulen noch gut zu erkennen (siehe Lübcke, W., 1987: Geschichte des Naturschutzes in Waldeck, S. 93). 1922 hatte Professor Wilhelm Ortloff (Bad Wildungen) das Paradies als Naturdenkmal vorgeschlagen. Die Ausweisung als NSG erfolgte 1980 auf Initiative des damaligen Kreisnaturschutzbeauftragten Dr. Hans Bossel (1907 – 1981), ehemals Leiter des früheren Forstamtes Netze.
Als NSG ist etwa die Hälfte des „Paradies“ genannten Gebietes ausgewiesen. Es geht hier weniger um Biotop- und Artenschutz, sondern um die Erhaltung und Pflege eines wald- bzw. kulturhistorischen Denkmals. Viele ältere Bäume sind jedoch im Laufe der Zeit zusammengebrochen und ihre Überreste werden als Totholz allmählich von Insekten und Pilzen in den Kreislauf der Natur zurückgeführt. Dennoch versucht man, durch Freistellen der noch vorhandenen alten Bäume, Wacholder und Heidereste das Bild eines ehemaligen Hutewaldes so lange wie möglich zu erhalten. Bedauerlich ist, dass zahlreiche der bis zu 200 Jahre alten Fichten Trockenheit und Borkenkäfer zum Opfer gefallen sind, denn diese freistehenden und dadurch tief belasteten Fichten galten als Besonderheit.
Ein Hort der Artenvielfalt
Der Pfad durch das „Paradies“ sollte wiederhergerichtet und markiert werden, um es besser erlebbar zu machen. Auch wenn das NSG in erster Linie ein waldhistorisches Schutzgebiet ist, zeigen die vorhandenen Informationen, dass es auch eine Oase der Artenvielfalt ist. Fast alle waldtypischen Vogelarten können hier beobachtet werden, zum Beispiel Fichtenkreuzschnabel, Waldbaumläufer, Tannenmeise, Kleiber oder Eichelhäher, außer Grauspecht alle heimischen Spechtarten: Schwarz- Bunt-, Mittel-, Klein- und Grünspecht. Der Schmetterlingsforscher Bernd Hannover hat 81 Arten festgestellt. Unter den Holzkäfern ist der Eremit, auch Juchtenkäfer genannt, bemerkenswert. Er ist eine Art mit europäischem Schutzstatus. Die nordöstlich unmittelbar an das NSG angrenzenden Schieferhalden eines früheren Tagebaus bieten Sonderbiotope mit Moosen und Flechten.
(Startseitenfoto: Blick ins Kesselbachtal in Richtung Kleinern, im Hintergrund die Nationalpark-Berge. Foto: Wolfgang Lübcke)