06.05.2020 - Einziges Vorkommen im Kreis Waldeck-Frankenberg

Der Färberwaid in Edertal – ein kulturhistorisches Relikt

Von Wolfgang Lübcke
Affoldern/Lieschensruh. Jetzt im Mai leuchten überall in der Landschaft gelbe Rapsfelder. Der aufmerksame Beobachter entdeckt auch in der Zechsteinwand zwischen Affoldern und Lieschensruh große, gelb blühende Pflanzen. An der Felswand Raps? Nein, es handelt sich um Färberwaid, aus dem früher Indigo, ein blauer Farbstoff, gewonnen wurde.

Blühender Färberwaid oberhalb der alten Bahnlinie bei Lieschensruh. (Fotos: Wolfgang Lübcke)

Die Ähnlichkeit mit Raps kommt nicht von ungefähr, denn beide Pflanzen gehören zur Familie der Kreuzblütler. Ausschlaggebend ist jedoch nicht die gelbe Blütenfarbe, es gibt auch Verwandte mit andersfarbigen Blütenblättern wie zum Beispiel Lila beim Wiesenschaumkraut. Namengebendes Familienmerkmal sind vielmehr die vier kreuzförmig angeordneten Blütenblätter. Die zweijährige Pflanze bildet im ersten Jahr Blattrosetten und blüht im zweiten Jahr. An der Zechsteinwand sowie an Felsen oberhalb der alten Bahnstrecke unterhalb von Lieschensruh hat der Färberwaid, kurz Waid genannt, sein einziges Vorkommen im Kreis Waldeck-Frankenberg.
An den trockenen Standort ist er hervorragend angepasst. Zum Beispiel mindert eine Wachsschicht auf den Blättern die Verdunstung. Rätselhaft ist, wie die alte Kulturpflanze an ihren Rückzugsort an den Zechsteinfelsen gelangt ist. Im Raum Fritzlar wurde im Mittelalter Waid angebaut. Belegt ist dort für das 13. Jahrhundert eine Waidmühle. Ob es auch im Waldecker Teil des unteren Edertals Waidanbau gab, ist nicht bekannt, erscheint aber durchaus möglich. Wie sonst soll die Pflanze an ihren jetzigen Standort in der Gemeinde Edertal gelangt sein? Die aus dem Waid gewonnene blaue Farbe diente zur Blaufärbung von Textilien, aber auch als natürliches Holzschutzmittel an Gebäuden. In Deutschland wurde Waid vor allem in Thüringen angebaut. Erfurt war Zentrum des Waidhandels und verdankte diesem seinen Wohlstand, der es ihm auch ermöglichte, eine Universität zu gründen.
Mit dem Import von Farbe aus dem tropischen Indigostrauch ging ab Ende des 16. Jahrhunderts der Waidanbau in Deutschland immer mehr zurück und verschwand schließlich Ende des 19. Jahrhunderts völlig, nachdem Indigo synthetisch hergestellt werden konnte. Heute erlebt der Waidanbau eine gewisse Renaissance. Es gibt wieder Liebhaber für mit „Erfurter Blau“ gefärbte Textilien und Kirchenräume werden mit Ökofarbe aus Waid originalgetreu restauriert. Auch als Heilpflanze spielt Waid eine gewisse Rolle. Übrigens verdanken die in Bad Wildungen und Edertal heimischen Familien Waid der alten Färberpflanze ihren Namen.

HINTERGRUND: Der Anbau von Waid und die Gewinnung von Farbe daraus war ein aufwändiger Prozess. Die Bauern stachen mühsam mit dem Waideisen die Blattrosetten, wuschen sie in fließendem Wasser und ließen sie auf Wiesen anwelken. In der Waidmühle wurden die Blätter anschließend zu Waidmus zerquetscht, dann zu Waidballen geformt, die getrocknet werden mussten. Als halbfertige Produkte kamen die Ballen schließlich auf den Waidmarkt, wo sie an Waidhändler verkauft wurden. Für die Weiterverarbeitung zu dem blauen Farbstoff war ein Gärungsprozess nötig und der Zusatz von aus Buchen gewonnener Pottasche.