Von Wolfgang Lübcke
Mehlen. Wir stehen an einem Oktober-Abend auf dem Feldweg, der von Mehlen in Richtung Giflitz durch das Kiesgrubengebiet führt, etwa hundert Meter unterhalb des Goldwäschers. Hier ist seit einigen Wochen ein imposantes Naturschauspiel zu beobachten. Hunderte von Staren fallen zum Schlafen in die Ufervegetation des Teiches rechts vom Weg ein.
Es ist 18.30 Uhr: Erste kleine Starentrupps kreisen über den Teich. Nach und nach kommen immer mehr Vögel hinzu, zunächst nur wenige, später immer größere Trupps, die sich zu einem großen Schwarm vereinigen. Dessen Form verändert sich ständig: mal kugelförmig, dann oval und schließlich ein breites Band. So lässt sich die Zahl am besten schätzen. Wir taxieren, wie oft die Menge von etwa 100 Vögeln den gesamten Schwarm bildet. Es sind bestimmt Tausend! Aber wir wollen uns um Hundert mehr oder weniger nicht streiten. Erstaunlich sind die plötzlichen, rasanten Schwenks, die der gesamte Schwarm vollführt. Dass es da keine Zusammenstöße gibt! Forscher haben festgestellt: Ein einzelner Star in solch einem Schwarm orientiert sich an bis zu sieben Nachbarvögeln und hält im Flug immer den gleichen Abstand. Jetzt taucht neben dem großen Schwarm ein Sperber auf.
Ob der wohl als Abendmahlzeit einen fetten Star erbeuten kann? Aber auf welchen Vogel soll der Beutestoß zielen? Die zahlreichen flatternden Flügel sind einfach zu verwirrend. Es klappt nicht! So erweist sich der große Schwarm als Schutz für jeden einzelnen Vogel. Es ist kurz vor 19 Uhr. Jetzt senkt sich der Schwarm etwas über den Teich mit seiner Ufervegetation aus Weiden, Rohrkolben und einer kleinen Schilffläche. Und plötzlich fallen dorthin die Stare wie Steine herab und sind an ihrem Schlafplatz verschwunden. Wir nähern uns dieser Stelle vorsichtig ein paar Schritte.
Jetzt ist ein schwätzendes Stimmengewirr aus hunderten Vogelkehlen zu hören, so als hätten sich die Tiere noch viel zu erzählen: Von wo kommt Ihr her? Wo wurden heute Wiesen gemäht, auf denen wir reichlich Insekten und Würmer finden können? Wo gibt es Sträucher mit nahrhaften Beeren? Wann brechen wir in unser Winterquartier auf? Fliegen wir nach Spanien oder nach Südfrankreich? Einige von uns sind in den letzten Jahren auch hier geblieben, denn die Winter waren nicht so streng. Und mit einem Schlag herrscht Ruhe, so als ob jemand mit lauter Stimme gerufen hätte: „Schluss jetzt! Schlaft endlich!“